Dienstag, 21. August 2012

Grenzen



Es gibt Grenzen und Begrenzungen, und die sind nicht unbedingt schlecht. Wahrscheinlich existiert überhaupt nichts Schlechtes. Bewertungen sind stets subjektiv, somit ihrerseits schon begrenzt, doch für mich, für uns und für alle Lebewesen wichtig. Es gehört essentiell zum Leben, dass man spüren kann, was gut tut oder was schadet, damit man sich dazu entsprechend verhalten, sich öffnen oder verschließen kann. Und in diesem Sinne sind Grenzen durchaus richtig. Grenzen sind Schutz und bedeuten gleichzeitig auch Enge. Leben findet in Auseinandersetzung und im Spiel mit Grenzen und letztlich mit dem Ziel ihrer Erweiterung statt.
Es gibt für uns körperliche, seelische und geistige Grenzen. Diese Begrenzungen sind real und haben nicht unbedingt mit Mangel zu tun. Sie sind Voraussetzung, um überhaupt leben zu können. Denn sie schaffen erst den Innenraum, den eigenen Lebensbereich, der sich abgegrenzt vom Außen entwickeln und entfalten kann. Doch die Grenzen müssen durchlässig und letztlich auch erweiterbar sein. Leben widersetzt sich der Starre. Alles, was unveränderlich fest ist, ist tot. Wir brauchen Austausch nach außen und müssen auch wachsen und uns bewegen können.
Körperliche Grenzen sind die deutlichsten, die wir vorweisen können. Sie sind durch Haut und Haare festgeschrieben, dennoch flexibel und in gewissem Maße durchlässig. Aber körperliches Wachstum ist am deutlichsten begrenzt und im Alter von Mitte zwanzig schon zu Ende. Doch der körperliche Austausch in Form von Stoffwechsel über Atem, Wasser und Nahrung ist am elementarsten für unser Sein. Die Grenzen des Körpers sind daher niemals fest verschlossen und lassen sogar nach unserem Tod noch allerhand Bakterien und Würmer sowohl raus wie auch rein.
Seelische Grenzen sind noch viel mehr flexibel und umfassen einen viel weiteren Raum. Sie lassen sich schwerlich beschreiben, weil sie letztlich nur spürbar und sehr veränderlich sind. Dennoch sind sie vorhanden und wirken sich manchmal auch körperlich aus. Es spielen ja auch Körper, Seele und Geist ständig zusammen, sie sind zwar begrifflich abgegrenzt, bilden aber womöglich innerlich einen einzigen gemeinsamen in sich durchlässigen Raum..
Auch geistige Grenzen sind real und immer vorhanden. Sie haben ursächlich mit unserer begrenzten Wahrnehmung wie auch mit geistigen Festlegungen zu tun. Doch besteht auf geistiger Ebene stets die Möglichkeit, die Grenzen zu öffnen und auf diese Weise den Raum eigener Erkenntnis zeitlebens zu weiten. Und das sollten wir im Sinne eigener Lebenskompetenzen auch tun.
Doch Begrenzungen sind auf geistiger Ebene ebenfalls nicht unbedingt gleichbedeutend mit Mangel. Die formale Begrenztheit des Geistes hat auch mit den Kapazitäten und der Effizienz unseres Gehirns zu tun. Ohne uns auf Wesentliche zu konzentrieren, wären wir restlos überfordert, und ohne Vereinfachungen könnten wir gar nichts verstehen. Wir brauchen Modelle von der Welt, um Zusammenhänge begreifen zu können. Diese Hilfsmittel sind aber beides: Voraussetzungen wie Hemmnis von Erkenntnis zugleich. Grenzen sind immer Schutz und Beengung zugleich.
Das Ziel kann nicht sein, Grenzen restlos aufzuheben. Wer immer nur offen ist, ist letztlich gar nicht mehr dicht. Die lebendige Herausforderung besteht darin, die eigenen Grenzen zu weiten und dabei möglichst offen und durchlässig zu bleiben. Ungewissheit zulassen und Verwirrung riskieren, ohne am Ende jedoch völlig ratlos und verwirrt zu sein. Jeder hat sein eigenes Maß zu bestimmen. Es hängt von eigenen Kräften und Kapazitäten ab, die sich durchaus ständig verändern, so dass ein Mensch von einem Augenblick zum anderen mal offener und mal zurückhaltender sein kann. Äußere Freiheit und innere Flexibilität bieten beste Chancen, dass man eigene Grenzen wahren wie auch behutsam beständig erweitern kann.
Das eigene richtige Maß lässt sich am besten daran ermessen, wie sehr man seine eigene Lebenskompetenz dabei erweitern kann. Denn darauf kommt es letztlich im Lebenssinne bei allen Erfahrungen an.
Grenzen bewahren, aber durchlässig bleiben, sich öffnen, den eigenen Raum weiten und sich einander annähern dabei, so kommen wir gemeinsam voran.