Menschliche Reife

Menschliche Reife ist anders, als wir erlernten und von Eltern, Großeltern und anderen Erwachsenen eher enttäuschend als motivierend vorgelebt bekamen. Sich brav unterordnend, mehr auf äußere Impulse reagierend als von innen heraus wirklich lebendig, waren sie in ihrem Innern wie Kinder geblieben. Von alten Herrschaftstraditionen geprägt, konnten sie, selbst wenn sie rebellierten, keine innere Befreiung erlangen und niemals zu vollständiger Entfaltung gelangen.

Wahrscheinlich haben Menschen zu keiner Zeit wirklich reife Vorbilder gehabt, schließlich waren die Bindungen an Traditionen in früheren Generationen noch intensiver. Dabei hat menschliche Reife kaum etwas mit der Vergangenheit, sondern vor allem mit dem gegenwärtigen Lebenserfolg im Sinne bestmöglicher Anpassung an die aktuellen Lebensverhältnisse und einer selbstbewussten wie nachhaltigen Orientierung auf die Zukunft zu tun.

Geistige Erwachsenheit schließt somit ein, dass ein Mensch die Verantwortung für die Folgen seiner Entscheidungen erkennt, wie auch seine Chancen zu aktiver Veränderung sieht und sie zum eigenen und allgemeinen Wohle zu nutzen versteht.
Gläubige Unterwerfung unter alte Normen und schicksalsmäßige Ergebenheit sind dafür kontraproduktiv. Das fiel solange nicht auf, wie man an den Wert fester Ordnungen glaubte, den Menschen Gehorsam abverlangte und die Welt sich allenfalls sehr langsam zu verändern schien, so dass man mit einiger Gewissheit von ewigen Kreisläufen ausgehen konnte.

Angesichts immer rasanterer Veränderungsprozesse, immens gestiegener Potenzen und vor dem Hintergrund persönlicher Freiheiten, wie sie Menschen vor uns noch nicht kannten, ist es an der Zeit, das Ziel bildende Ideal menschlicher Entwicklung ganz neu zu definieren und ein zeitgemäßes wie einladendes Bild menschlicher Reife zu kreieren.

Menschliche Reife sollte auf geistiger Freiheit gegründet sein, mit kritischer Distanz zum Alten. Nicht von außen, sondern von innen heraus entwickelt mit auf einem tiefen Vertrauen ins Menschsein, das Menschen bisher nicht erlernten. Den Menschen weder als Befehlsempfänger noch als Opfer, sondern als freies, selbstbewusstes und eigenverantwortliches Wesen interpretierend.

Dies setzt ein neues, herrschaftsfreies Menschenbild voraus. Denn bisher galten die menschliche Natur und das innere Wesen des Menschen als asozial und gefährlich. Schließlich wollten sich alle Herrschaftssysteme auf diese Weise als unerlässliche Ordnungskräfte definieren. Der Mensch gehörte, um Mensch zu sein, erst einmal nach ihren Maßstäben geformt und gebildet.

Unzählige die Generationen wurden darauf ausgerichtet, sich anzupassen und zurechtstutzen zu lassen. Als reif sah man an, wer sich traditionsgemäß dem Alten unterworfen hatte. Innerlich wie äußerlich. Es betraf die Inhalte des Denkens wie auch die Form des Verhaltens. Die Menschen waren an der Vergangenheit orientiert, an altes Wissen gebunden und in das Korsett äußerer Erwartungen gepresst. Tief verunsichert und sich selbst nicht vertrauend, weil als Kinder schon von sich selbst entfremdet, waren sie nach außen hin allzeit bereit, Befehle zu empfangen und weitestgehend widerstandslos zu funktionieren.

Solch dressierte Menschen können keine sinnvollen Maßstäbe für menschliche Reife bieten und keine positiven Vorbilder mehr sein.

Nach altem Muster haben wir zwar gelernt, das Alter zu ehren.
Doch zeichnet sich Alter automatisch durch Reife aus?
"Sechzig Jahre und kein bisschen weise"...
Menschliche Reifung ist ein geistiger Prozess, der nicht ohne eigenes Zutun geschieht.
Statt des Alters, sollten wir die Reife ehren!

Was zeichnet menschliche Reife aus?

Wahre menschliche Reife hat wesentlich mit innerer Freiheit zu tun.
Denn nur wer frei ist, kann sich wirklich entfalten.
Nur wer sich frei macht von beengenden Gedanken, kommt sich selbst ganz nah.
Nur wer sich selbst gut spüren, kann gut für sich sorgen.
Nur wer für sich selbst gut sorgen kann, kann unterstützend und bereichernd für andere sein.

Wirklich ausgereift sind Menschen, die sich, von alten Begrenzungen innerlich befreit, weitestgehend entfaltet haben. Sich selbst vertrauend, eigenverantwortlich im Denken. Im Bewusstsein eigener Fehlbarkeit nicht aufs Rechthaben und die eigene Meinung fixiert, sondern selbstkritisch und zum Konsens bereit, im Kontakt mit ihren Fragen.
Nicht nach einem rechten Glauben, sondern im offenen Prozess nach wahrer Erkenntnis strebend, immer wieder neu, wobei die Realität den Bezugspunkt und Maßstab bildet.

Reife Menschen wollen nicht herrschen und begrenzen. Es geht ihnen nicht um kurzfristige, oberflächliche eigene Vorteile. Sie wollen nicht haben, sondern geben.
Sie sind bemüht, die allgemeine Entwicklung und die Entfaltung anderer Menschen nachhaltig zu fördern.

Erwachsene Menschen sind an der Zukunft orientiert und wollen durch eigenes Vorbild positiven Einfluss nehmen.

-------------------------

3 Vorschläge für Fragen, um selbst an der Thematik weiter zu forschen:

1.
nach außen gerichtet

Überall in der Natur, wo Aufzucht stattfindet, sind die jungen Lebewesen anfangs nicht in der Lage, ohne Unterstützung zu überleben. Um sich zu entwickeln brauchen die Nachkommen Zuwendungen von "Erwachsenen", die dazu in der Lage sind und die erforderliche Unterstützung gerne geben, ohne etwas dafür haben zu wollen.
Bei den meisten Tieren fallen die Entwicklung von Fortpflanzungs- und Aufzuchtfähigkeit zusammen. Bei den Menschen ist es anders:
Fähig zur geschlechtlichen Paarung werden Jugendliche schon in der Pubertät.
Erwachsenheit definiert sich über die Fähigkeiten, die zur Aufzucht gehören.

Frage:
Welche Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen stellen in der Natur ganz selbstverständlich die Voraussetzungen für Aufzucht dar?

2.
nach innen gerichtet:

Aus der Sicht des Kindes, tief nach innen spürend nähert man sich intuitiv den Voraussetzungen für ein reifes Menschsein am besten mit folgenden Fragestellungen an:

Was habe ich mir als Kind von meinen Eltern ersehnt?
Wie hätte ich mir als Kind die Erwachsenen gewünscht?
Über welche Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen hätten sie verfügen sollen?

3.
"philosophisch"

Da sich Menschen in ihrem Verhalten meist nach ihren geistigen Einstellungen und Überzeugungen richten, ist Erwachsenheit im menschlichen Zusammenhang ein vor allem geistiger Prozess.
Die Seele entwickelt sich zwar auch bei uns Menschen von Natur aus mit dem körperlichen Wachstumsprozess mit, doch beeinflussen geistige Einstellungen die seelische Reife fördernd oder behindert.
Die meisten Menschen bleiben meines Erachtens aufgrund ihrer Glaubenssätze seelisch auf einer kindlichen Stufe zurück.

Frage:
Durch welche geistigen Erkenntnisse und Einstellungen zeichnet sich menschliche Reife aus? 

-------------------
Wird fortgesetzt und auch in meinen Posts ergänzt.