Donnerstag, 10. Juni 2010

Hürden geistigen Fortschritts - 1

Von der Kunst ist man an ständig Neues gewöhnt, und man kann es als neue Form auch schnell erkennen.

In der Philosophie ist Neues nicht selbstverständlich und bedeutend schwieriger zu erkennen, weil sich neue Inhalte nicht gleich offensichtlich von allein erschließen, sondern von vornherein eigenes Mitdenken verlangen.


Anfangs glaubte ich dennoch mit jugendlichem Elan, dass neue Gedanken, die wahr und gut und richtig wären, Menschen auf Anhieb ansprechen, überzeugen und damit auch sich selbst beweisen würden, und eine wirklich große Idee dem entsprechend das Potential hätte, alle Probleme, für die wir als Menschen selbst verantwortlich sind, auf einen Schlag zu beseitigen. Geistige Erlösung sozusagen. Weisheit, Frieden, Klarheit, Lebensglück mit einem Mal.


Später war ich lange Zeit davon überzeugt, dass es allein an mangelnder geistiger Offenheit der Menschen läge, wenn sich Gedanken, die ich gut und richtig fand, nur schwer vermitteln ließen.


Heute gehe ich davon aus, und es fühlt sich versöhnlicher an, dass es am Wesen des Neuen des liegt, wenn es hohe Hürden für geistigen Fortschritt gibt - und man folglich auch den Wert neuer Ideen nicht an deren erster Resonanz schon überprüfen kann.


Wie soll man überhaupt Neues erkennen, wie Neues vermitteln, wenn man, um zu verstehen, grundsätzlich nur an Altes andocken kann?

Das Neue kommt ja selbst im Gewand des Bekannten einher. Es bedient sich der erlernten Sprache, tradierten Begriffen und ist seinerseits stets weitestgehend aus vorhandenen Gedanken entstanden.


Auch für den Empfänger sind gespeicherte Informationen und gewohnte Gedankenmuster die Grundlage, auf der Verstehen nur geschehen kann.

Was man nicht verknüpfen kann, entzieht sich vorerst dem Begreifen.


Das jedoch, was sich auf Anhieb verstehen lässt, sind allein die Aspekte, die man ins Alte einordnen kann.

Dann aber erscheint Neues nicht mehr wirklich neu:

Das habe ich schon gelesen..., das haben doch vorher schon andere gesagt... -

Bruchstücke werden herauspickt, in Bekanntes einfügt und diesem untergeordnet. Dass sie am Ende im neuen Zusammenhang auch einen ganz neuen Sinn ergeben, wird nicht gesehen.


"Ich verstehe", erweist sich daher Neuem gegenüber in der Regel als sehr trügerisch und deutet, wenn sofort ausgesprochen, meist auf absolutes Unverständnis hin.

Dann ist es fast schon besser, Neues wird erst einmal als Blödsinn abgetan und somit wenigstens als ungewohnt und unverständlich wahrgenommen.

Selbst wenn auch dies nicht zu weiterem Verständnis führt.


Fazit - 1:

Neues Denken braucht stets einen sehr langen Atem.

Denn anfangs wird es sogar als Neues schwer erkannt, weil erst einmal nur ankommt, was man schon kennt.